Gut ist das Gegenteil von gut gemeint, sagt der Volksmund. Und nach einem ersten Blick darauf – und vor allem auf die Reaktionen – möchte man „Ehrenpflegas“, die Werbekampagne der Jugend- und Familienministerin für den Altenpflegeberuf, unter diesem Schlagwort abheften. Nach dem Motto: Haben sie halt nicht nachgedacht, die falschen Berater gehabt, zu schnell geschossen, kann ja mal passieren usw. usf.
Aber ist es wirklich so gelaufen? Ich habe das von Beginn an nicht geglaubt, und spätestens seit einer Meldung der Branchenzeitschrift Horizont ist allen klar, dass das Familienministeriem die Kampagne genau so gewollt hat, mit genau diesen Protagonisten, dieser Ästhetik und dieser Ansprache („Ich geh erste Klasse“). Die für die Ehrenpflegas verantwortliche Kreativagentur hatte Horizont Online nämlich mitgeteilt, dass sowohl die Agentur als auch das Familienministerium derlei negative Reaktionen erwartet hätten „und weitere Kommunikationsmaßnahmen entsprechend vorbereitet gewesen seien.“
„Die Schwächsten begleiten ist keine Drecksarbeit“
Die Frage, welchen Nutzen das Ganze stiften soll, ist nicht schwer zu beantworten. Und diese Antwort führt uns das ganze Elend und den Irrsinn von Deutschlands Altenpflege noch einmal sehr deutlich vor Augen.
Es gibt diese Kampagne, so schrieb die Userin Gode_fridus auf Twitter, „weil eine zu satte Gesellschaft mit zu satter Politik sich nicht vorstellen kann, dass die Schwächsten begleiten keine Drecksarbeit ist, die an Dumme, Migranten, Loser, Frauen und Versager delegiert werden muss!“
Und weil sie es sich nicht vorstellen will. Denn diese Vorstellung wäre ziemlich teuer. Je höherwertiger die Pflegeausbildung, je akademischer die Inhalte, desto weniger können sich Politik und Verbände der Forderung nach besserer Bezahlung entziehen. Also bemüht man sich eher um Kandidaten, die sich – aus unterschiedlichen Gründen – nicht aussuchen können, was und wo sie arbeiten, ja, die froh sind, überhaupt einen Job zu haben. Menschen wie Boris eben, den Protagonisten der „Ehrenpflegas“, der schon mehrere Ausbildungen abgebrochen hat.
Um Menschen aus EU-Ländern bemüht man sich eher nicht
Abgesehen vom Familien- und vom Gesundheitsministerium bemüht sich auch der bpa, Deutschlands mächtiger Lobbyist privater Pflegeheime und -dienste, seit Jahren darum, das in Deutschland geforderte Qualifikationsniveau für AltenpflegerInnen so niedrig wie möglich zu halten. Der „Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste“ zielt dabei nicht nur auf Deutschlands Borisse ab, er fordert die Politik auch seit Jahren dazu auf, „in Drittstaaten mit einer positiven demografischen Entwicklung“ Pflegekräfte anzuwerben.
Und das mit Erfolg: Jens Spahn oder eine seiner MitarbeiterInnen reisten u. a. in den Kosovo, nach Mexiko oder auf die Philippinen, um dort Personal für deutsche Altenheime zu rekrutieren.
EU-Länder, um deren Arbeitskräfte man sich ja auch bemühen könnte, tauchen in dieser Liste dagegen nicht auf. Aus zwei Gründen: Erstens wird bei uns in der Pflege zu schlecht und anderenorts immer besser bezahlt – beispielsweise in Polen – so dass der Anreiz, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen, für viele unserer Nachbarn deutlich gesunken ist.
Putzen? Das haben viele schlicht nicht eingesehen
Zweitens war 2018 der Plan gescheitert, im Zuge der Reform der Pflegeausbildung deren Inhalte deutlich aufzuwerten und Pflegekräften mehr Kenntnisse in Medizin und Rehabilitation zu vermitteln. Dadurch sollte der Job für eine breitere Bewerberschicht interessant werden, vor allem für Menschen, die in ihrer Heimat akademisch vorgebildet waren und deshalb mit den hiesigen Verhältnissen verständlicherweise Probleme hatten.
„Manch spanische Fachkraft mit einer universitären Ausbildung sollte in deutschen Heimen neben der Pflege zum Beispiel auch putzen. Das haben viele schlicht nicht eingesehen“, so die gelernte Krankenschwester Kordula Schulz-Asche. Als Sprecherin für Alten- und Pflegepolitik der bündnisgrünen Bundestagsfraktion macht sie sich seit vielen Jahren für eine deutliche Aufwertung der Ausbildung stark.
Doch dazu kam es 2018 – mal wieder – nicht. Kurz vor der Verabschiedung im Bundestag wurde auf Druck des bpa alle Wissenschaftlichkeit aus der neuen Pflegeausbildung herausgestrichen, so Kordula Schulz-Asche.
„Wir wollen keine Akademisierung der Pflegeausbildung“
Selbst die SPD, die den am Ende beschlossenen Formulierungen zähneknirschend zugestimmt hatte, machte aus diesem Zusammenhang keinen Hehl. Die Union habe „ganz offensichtlich den privaten Pflegearbeitgebern entgegenkommen“ wollen, so eine sozialdemokratische Parlamentarierin.
Wie um diese These zu untermauern, sagte der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein damals dem Handelsblatt: „Wir wollen keine Akademisierung und Verwissenschaftlichung der Pflegeausbildung.“
Damit verwendete er exakt jenen Begriff – mit derselben negativen Konnotation – den auch der bpa im parlamentarischen Ringen um das Gesetz immer wieder benutzt hatte.
Am Ende beschließt der Bundestag die „notwendige Nachbesserung“ und erteilt „der heimlichen Akademisierung eine Absage“, wie der bpa triumphierend in einer Pressemitteilung feststellte.
Ehrenpflegas? „Da muss ich leider ein bisschen kotzen“
Womit wir zurückkommen zur Twitter-Userin Gode_fridus, zur „satten Gesellschaft“ und „satter Politik“, die das Begleiten der Schwächsten am liebsten an Menschen wie Boris delegieren möchte. Und zur verheerenden Wirkung dieses Gedankens. Zum Beispiel auf die Twitter-UserIn Kobinstantin. Sie schrieb: „Ehrenpflegas hat mich als Zielgruppe fast dazu gebracht die Ausbildung abzubrechen, weil ich mich so verarscht fühle…“
Wut und Häme löste vor allem das übergeordnete Motto der ganzen Kampagne aus. Es lautet: „Mach Karriere als Mensch.“ Dazu schrieb „MsHorowitz“ auf Twitter: „Dieser Slogan impliziert auch 1a, du machst es doch nicht für das Geld, du arbeitest aus rein moralisch-ethischen Gründen‘ … da muss ich leider ein bisschen kotzen.“
Vielen ihrer KollegInnen ging es offenbar ähnlich.
Pflegekräfte sollen – das ist die Lehre aus der ganzen Geschichte – aus Sicht von Heimbetreibern und von Politik vor allem billig und willig sein. Und dieses Ziel lässt sich eben am leichtesten mit Menschen wie Boris erreichen, für die eine Pflegeausbildung sozusagen die letzte Chance ist.