Die neuesten Zahlen vom Verband der Ersatzkassen sind ohne Frage alarmierend: Im Vergangenen Jahr mussten Heimbewohner im Bundesdurchschnitt 2411 Euro monatlich zuzahlen, das waren 278 Euro oder 11,5 Prozent (!) mehr als 2021.
Und so ziemlich sämtliche Akteure gehen von weiteren Preissteigerungen aus. Nach Ansicht von Diakonie-Vorständin Maria Loheide wird dies bereits im kommenden Juli der Fall sein. Dann kommt in den Heimen ein neues Personalbemessungsinstrument zum Einsatz. Es soll die Versorgung verbessern – steigert aber auch die Kosten. „Eigentlich müssten die Pflegekassen die Pflegesätze entsprechend anheben“, so Loheide gegenüber dem Tagessspiegel. Aber ein Viertel der Kassen weigere sich, die laufenden Verträge nachzuverhandeln. „Das Nachsehen haben die Bewohner, deren Eigenanteil weiter steigt.“
„Pflege macht arm“, diese Schlagzeile war in den zurückliegenden Tagen wieder einmal in vielen Medien zu lesen – verbunden mit den ebenso immer gleichen oder zumindest sehr ähnlichen Forderungen. Aktuell formulierte der SoVD – Sozialverband Deutschland – stellvertretend für andere mal wieder die Idee, Eigenanteile von Heimbewohnern zu deckeln und eine Pflegevollversicherung zu schaffen, die „zumindest mittelfristig alle pflegebedingten Kosten übernimmt.“
Um das finanzieren zu können, bräuchte es entweder eine kräftige Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung oder einen kräftigen Steuerzuschuss – beziehungsweise beides.
Ein Drittel der Heimbewohner benötigt Sozialhilfe
Die seit Jahren immer wieder erhobene Forderung nach „Pflegevollkasko“ ist bei genauer Betrachtung aus zwei Gründen befremdlich. Erstens stellt sich die Frage, ob Pflege wirklich arm macht. Beziehungsweise: wen genau Pflege arm macht. Richtig ist: Immer mehr Menschen müssen Sozialhilfe beantragen, um ihren Heimaufenthalt bezahlen zu können. Aktuell liegt ihr Anteil bei 32,5 Prozent, also knapp einem Drittel. Im nächsten Jahr könnte dieser Wert laut der Modellrechnung des Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang von der Universität Bremen weiter auf 34,2 Prozent steigen und bis 2026 sogar auf 36 Prozent steigen.
Diese Entwicklung ist genau das Gegenteil dessen, wofür die Pflegeversicherung einst erfunden wurde, sollte sie doch möglichst vielen Heimbewohnern den Bittgang zum Amt ersparen. Dieser Gang wird in der aller Regel nicht sofort nach Einzug notwendig, sondern frühestens nach einigen Monaten, wenn die Ersparnisse des Bewohners aufgebraucht sind.
Wer wenig ausgehen kann, behält mehr übrig. Für die Erben.
Höhere Zuschüsse zu den Kosten des Heimaufenthalts – egal ob aus Steuerzuschüssen oder aus erhöhten Beiträgen zur Pflegeversicherung – führen dazu, dass diese Ersparnisse geschont werden. Leider nur profitieren davon in der Praxis die Falschen, nämlich nicht die Pflegebedürftigen selbst, sondern deren Erben. Sicher, wer nicht alles, was er zurückgelegt hat, für die eigene Pflege ausgeben muss, kann sich auch im Alter noch etwas leisten. Theoretisch. Praktisch sieht es allerdings so aus, dass das Pflegeheim für viele „last Exit“ ist, dass sie erst hier einziehen, wenn es gar nicht mehr anders geht. Gerade in den zurückliegenden Jahren hat sich dieser Trend weiter verstärkt. Die Möglichkeit – und auch der Wunsch-, Geld auszugeben, sind in dieser Situation in aller Regel sehr begrenzt.
Und wer wenig ausgeben kann, behält mehr übrig. Für die Erben. Die wurden durch das „Angehörigen-Entlastungsgesetz“ ohnehin deutlich entlastet: Seit Anfang 2020 sind erwachsene Kinder nur noch dann für ihre pflegebedürftigen Eltern unterhaltspflichtig, wenn sie mehr als 100000 Euro pro Jahr verdienen. Laut Statistischem Bundesamt liegen 94 Prozent der Deutschen unter dieser Einkommensgrenze. Mit anderen Worten: Lediglich sechs Prozent aller Einkommensbezieher müssen für die Pflege der Eltern aufkommen.
Eine solche Einkommensgrenze lehne ich nicht prinzipiell ab – wohl aber ihre unerfreulichen Nebenwirkungen, die ich hier beschrieben habe.
Pflege macht arm? Niemand fragt, warum Heime so teuer sind
Das Erbe dieser Angehörigen allerdings darüber hinaus wie beschrieben durch höhere Zuschüsse für die Heimunterbringung zu schonen, ist der falsche Weg. Wesentlich sinnvoller wäre es, die Zuschüsse für eine prinzipielle Umgestaltung unseres maroden Pflegesystems zu verwenden. Womit wir beim zweiten guten Grund sind, um die beschriebene Forderung nach mehr Geld für die Heime aus Steuer- oder Versicherungsmitteln abzulehnen. Und bei der Frage, warum sich so ziemlich niemand damit beschäftigt, warum Heime so teuer sind und ob das so sein muss.
Mehr Geld verhindert einen kritischen Blick aufs System
Und warum die Preise für Heimplätze regional so extrem unterschiedlich sind – ohne dass irgendjemand diese Unterschiede in ihrem Ausmaß versteht oder erklären kann. Natürlich: Die Löhne der Pflegekräfte sind bundesweit sehr unterschiedlich, vor allem wird in den ostdeutschen Bundesländern noch immer weniger verdient als im Westen. Damit lassen sich die großen Preisunterschiede zwischen Sachsen und Nordrhein-Westfalen – zum Teil – erklären, aber nicht die Tatsache, dass Heimbewohner im Saarland mit 2374 Euro 34 (!) Prozent mehr zuzahlen müssen als in Niedersachsen (1772 Euro). An den Lohnunterschieden kann das jedenfalls nicht liegen. Wer hier den Dingen auf den Grund gehen möchte, muss sich vor allem mit der Finanzierung von Pflegeheimen insgesamt beschäftigen, mit überhöhten Investitionskosten und mit gierigen Investoren.
Nur ist dieses Thema komplex, es macht Arbeit, und es ist weniger populär als die schlichte Forderung, mehr Geld ins marode System zu pumpen. Deshalb verzichten die Interessen- und Sozialverbände lieber darauf, sich ernsthaft mit den Strukturen dieses Systems und ihrem Versagen auseinanderzusetzen.