Das Dilemma ist schnell beschrieben: Die Bundeskanzlerin hat öffentlich versprochen, ihre Regierung werde die Sozialausgaben unter 40 Prozent halten – Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil zusammengerechnet. Was es dazu braucht, sind möglichst viele Arbeitende, die möglichst Fulltime „schaffen“ und möglichst viel verdienen.
In Zeiten von Corona mit Kurzarbeit und wachsender Arbeitslosigkeit geht der Trend nur gerade in die entgegengesetzte Richtung. Was das für die einzelnen Zweige unserer Sozialversicherung bedeutet, damit hat sich das Handelsblatt detailliert beschäftigt. Und auch mit möglichen Auswegen aus der Krise. Doch der populärste und auch in dem Artikel beschriebene Ausweg – höhere Steuerzuschüsse – würde gerade für die Pflegeversicherung nichts besser machen. Im Gegenteil.
Der Pflegekasse ging es schon vor Corona schlecht
Auf den ersten Blick scheinen sich über diesen Ausweg alle einig zu sein, Arbeitgeber, Gewerkschaftler und unabhängige Wirtschaftsexperten. Oder zumindest lehnen alle höhere Sozialbeiträge ab. Was bleibt dann noch außer Steuerzuschüssen, um die Ausgaben trotz niedrigerer Einnahmen zu decken?
Man könnte die Rücklagen verheizen, die in sämtlichen Sozialkassen vorhanden sind. Allerdings haben sie fast überall den Zweck, den unabwendbaren demografischen Wandel – weniger Junge, arbeitende und viel mehr Alte – finanziell abzufedern. Wer die Rücklagen angreift, verlagert das Problem also – bestenfalls – um ein paar Jahre in die Zukunft.
Also Steuerzuschüsse, auch für die Pflegekasse. Die stand schon vor Corona, so das Handelsblatt, „finanziell vor schwierigen Zeiten.“ Allein zwischen 2015 und 2019 kletterten die Ausgaben von 29 auf 44 Milliarden Euro jährlich. 2019 gab es dann eine Beitragserhöhung – übrigens die fünfte in elf Jahren -, von der niemand weiß, wie lange sie die Versicherung in den schwarzen Zahlen halten kann. Hinzu kommt die immer lautere Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen in der Altenpflege inklusive dem Wunsch nach flächendeckenden Tarifverträgen. Diese Forderungen sind nicht morgen spruchreif, aber sie verschwinden auch nicht mehr von der Agenda. Und ihre Umsetzung wird teuer.
Steuerzuschüsse sind die denkbar schlechteste Lösung
Dass die Beitragseinnahmen schon heute nicht reichen, wurde spätesten mit der Diskussion um die 1500 Euro-Prämie für jede Pflegekraft deutlich. Die Bundesregierung wird nach Lage der Dinge dieses groß angekündigte Versprechen nur halten können, wenn sie von den 1500 Euro 1000 aus Steuermitteln bezahlt – mindestens.
Nicht zu vergessen der demografische Wandel. Er wird spätestens ab 2025 gerade der Pflege deutlich höhere Ausgaben aufbürden als heute.
Was also tun? Ein seit längerem diskutierter Vorschlag ist, ähnlich wie in der Renten- und Krankenkasse auch für die Pflege einen festen Steuerzuschuss einzuführen.
Jetzt könnte man natürlich auf die Idee kommen, ich sei ein Befürworter dieser Lösung. Schließlich plädiere ich in meinem Buch dafür, die Pflege anstatt aus Versicherungsbeiträgen aus Steuern zu bezahlen.
Einen fixen Steuerzuschuss für das vorhandene System befürworte ich aber deshalb nicht. Im Gegenteil: Gemäß der Losung „in Gefahr und höchster Not, bringt der Mittelweg den Tod“ wäre das die schlechteste aller denkbaren Alternativen.
Auch der Betrug würde weitergehen
Oder, um im Bild zu bleiben: Es würde bedeuten, das Leben eines unrettbar Multimorbiden – der Pflegeversicherung – mithilfe hochdosierter Infusionen künstlich zu verlängern. Weil so die menschenfeindlichen Mechanismen und Anreize der Pflegeversicherung dauerhaft erhalten blieben – inklusive der absurden, medizinisch unsinnigen Abgrenzung ihrer Leistungen von denen der Krankenkassen. Die hätten, gäbe es keine Pflegeversicherung, ein eigenes Interesse daran, auch alte, nicht mehr arbeitsfähige Menschen so lange wie möglich fit zu halten – was sie aktuell nicht haben.
Auch für den milliardenschweren Betrug in der ambulanten Pflege sind die Mechanismen der Pflegeversicherung verantwortlich. Außerdem locken sie jene Finanzinvestoren an, für deren Renditen Bewohner und Pflegekräfte in den Heimen büßen müssen.