„Die Reform der Pflegeversicherung“, so schreibt die Berliner Zeitung zutreffend, „hilft vor allem der Pflegeversicherung selbst.“ Und präsentiert dann jenen Ansatz, mit dem ich mich im Folgenden beschäftige. Es geht darum, pflegende Angehörige für ihre Arbeit zu bezahlen. Weil es vier Probleme massiv lindert.
Pflegende Angehörige können sich Aufgaben teilen
Erstes Problem: kein Platz im Heim. Immer mehr Pflegeheime müssen ganze Etagen leerstehenlassen, weil sie kein Personal haben, um sie zu „bewirtschaften.“ Die Familien, deren Pflegebedürftige dadurch weiter zuhause versorgt werden müssen, sind verzweifelt. Natürlich stünde dadurch, dass wir pflegende Angehörige für ihren Einsatz bezahlen, nicht automatisch eine Person bereit, die Zeit und die Bereitschaft mitbringt, den Job zu machen. Aber es gibt dann zumindest mehr Optionen: Die studierende Enkelin kümmert sich in den Semesterferien um die Oma – als Semesterferienjob. Zwischendurch hilft eine Nachbarin – auch sie bekommt Geld dafür. Und die Tochter, die vor Ort wohnt, und von der das Umfeld und die ganze Gesellschaft bisher – meist unausgesprochen – erwartet hat, dass sie sich für die Mutter aufopfert, muss dies nicht mehr tun. Oder jedenfalls nicht mehr nahezu umsonst.
Pflegende Angehörige sind im Alter oft arm
Zweites Problem: Altersarmut durch Pflege. Viele Kinder – vor allem Töchter – setzen sich bisher massiv der Gefahr aus, durch die jahrelange Pflege einer Angehörigen daheim im Alter sehr arm zu sein. Natürlich verdienen sich diese Menschen auch durch Pflege sogenannte Rentenpunkte, aber unterm Strich bringt ihnen das später deutlich weniger Rente ein als wenn sie in dieser Zeit statt zu pflegen irgendwo in einem Büro gearbeitet hätten. Sie stünden sich deutlich besser, wenn die Pflege daheim wie andere Jobs auch bezahlt würde.
Bei den Pflegehilfskräften ist der Mangel weniger groß
Drittes Problem: Es gibt viel zu wenige Pflegekräfte. Auch hier lässt sich das Problem natürlich nicht verlustfrei dadurch kompensieren, dass mehr Menschen daheim gegen Geld Angehörige versorgen. Weil diese Menschen dann dem Arbeitsmarkt an anderer Stelle fehlen. Denn schließlich herrscht mittlerweile ja nicht nur in der Pflege ein Mangel an fleißigen Händen und Köpfen – sondern fast überall. Andererseits ist der Fachkräftemangel aber in der Pflege besonders dramatisch. Deutlich geringer ist er dagegen bei den Pflegehilfskräften, wie die Bundesagentur für Arbeit in ihrem jüngsten Bericht zum Thema wieder feststellte.
Und diese Hilfskräfte könnten auch – flexibel zum Wohle aller Beteiligten – in heimische Hilfsarrangements eingebunden werden. Außerdem ließen sich – siehe oben – bei einer fairen Bezahlung der Pflege daheim die Aufgaben leichter als bisher auf mehrere Schultern verteilen. Die Tochter zum Beispiel könnte halbtags Pflegen und den Rest ihrer (Arbeits)zeit ihrem bisherigen, erlernten Beruf widmen. Was auch dazu beiträgt, die große Ungleichheit der Einkünfte zwischen Männern und Frauen – gerade im Alter – zu lindern.
Das Modell kommerziell betriebenes Altenheim ist nicht zu retten
Viertes Poblem: Entlastung der Heime. Das Modell kommerziell betriebenes Altenheim ist unter den herrschenden Verhältnissen nicht zu retten, da bin ich völlig sicher. Weil es von Beginn an auf einem Denkfehler beruhte. Mit Altenpflege Geld zu verdienen ist – auch bei genügend Pflegekräften – nur in einem bürokratisch verunstalteten und menschlichen pervertierten System wie dem der deutschen Pflegeversicherung überhaupt vorstellbar. In einem System, in dem der Staat privaten Unternehmen sozusagen Gewinne zuteilt. Ohne Pflegekräfte löst sich dieses System aber auf wie wir gerade sehen.
Pflege daheim durch Angehörige gegen Bezahlung bedeutet auch, die festgemauerte Trennung zwischen ambulant und stationär endlich aufzulösen. Sie war schon immer menschenverachtend, wir verdanken sie ausschließlich der grausamen Abrechnungslogik der Pflegeversicherung.
Ich weiß, der Ansatz ist längst nicht bei allen beliebt
Der hier von mir vorgeschlagene Ansatz ist keineswegs bei allen Akteuren von Pflege beliebt. Weil er einer seit vielen Jahren propagierten maximalen Professionalisierung von Pflege widerspricht. Zu glauben und zu propagieren, Altenpflege könnten mehr oder weniger alle Menschen leisten, die sich dazu berufen fühlen, widerspricht dem Ziel einer konsequenten Professionalisierung des Berufs.
Aber von diesem Ziel – das ist jedenfalls meine Meinung – sollten wir uns ohnehin verabschieden. Weil schlicht zu wenige Menschen Pflegeprofi werden und sein wollen.