Als der Bundesgesundheitsminister lautstark einen Corona-Bonus für Pflegekräfte von einmaligen 1500 Euro verkündete, hatte er die Rechnung ohne die Wirte gemacht. Die Kassen erwiderten sofort und eigentlich wenig überraschend, das sei schön und gut, aber aus ihren Töpfen können das Geld dafür nicht stammen. Es sei denn, man verbinde damit eine Beitragserhöhung für die Versicherten und sage dies auch so offen.
Davon kann nicht die Rede sein. Stattdessen sollen die Kassen jetzt 1000 von den 1500 Euro vorstrecken und später, in einigen Monaten, aus Steuermitteln zurückbekommen. Eine Konstruktion, die weiteren Streit garantiert.
Beim Bezahlen drängt sich niemand vor
Zumal auch bisher völlig unklar ist, woher die dann zu den versprochenen 1500 noch fehlenden 500 Euro stammen werden.
Jens Spahn sieht hier sowohl die Länder als auch die Arbeitgeber in der Pflicht. Aber beide sind wenig begeistert von der Idee. Entsprechend zurückhaltend fallen die Reaktionen aus. Bayern hat angekündigt „bis zu“ 500 Euro selbst schultern zu wollen, ähnlich Berlin, das auch Corona-Helden aus Polizei, Justiz oder Feuerwehr belohnen will. Woher das Geld im Rest der Republik kommen wird, ist weitgehend ungeklärt, zumal sich auch die Pflegearbeitgeber hier nicht vordrängen.
Zwar haben sich Anfang April ver.di und die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) auf den Empfängerkreis und die Abwicklung der Prämienzahlung geeinigt. Gleichzeitig stellte der BAVP aber in einer Pressemeldung klar, dass sich seine Mitglieder die Zahlung des 500-Euro-Nicht-Kassenanteils keinesfalls leisten können. Die Botschaft: Wir sind auf jeden Fall für die Prämie – solange wir sie nicht bezahlen müssen.
Auf den ersten Blick ist das insofern nicht tragisch, als ver.di in der Pflegebranche nur sehr wenige Mitglieder hat und der BAVP ebenfalls ein größenmäßig irrelevanter, erst im vergangenen Jahr gegründeter Verband ist, der eine begrenzte Anzahl freigemeinnütziger (AWO, Diakonie, Parität etc.) Träger vertritt.
Das Problem ist nur, dass der Arbeitgeberverband bpa, in dem ein maßgeblicher Anteil der privaten Pflegeanbieter Deutschlands organisiert ist, im Grunde genauso Argumentiert wie der BAVP: Pflegekräfte brauchen mehr Geld, aber wir als Arbeitgeber können das auf keinen Fall bezahlen.
Die Pflegeversicherung hat kein Geld für menschenwürdige Pflege
Das ganze Gezerre um diese Prämie offenbart einmal mehr Deutschlands Systemschwächen in der Pflege.
– Eine Pflegeversicherung, die kein Geld hat, um Pflegekräfte anständig zu behandeln und anständig zu bezahlen.
– Eine Pflegeversicherung, die zudem keine eigenständigen, selbstbewussten Strukturen hat, sondern ein sprachloses Anhängsel der Krankenkassen ist. Deshalb waren sie es auch, die gegen eine Zahlung von Prämien aus Beitragsmitteln protestierten. Die Pflegekassen selbst haben keine Stimme.
– Eine Pflegeversicherung, die aus eigenen Mitteln niemals in der Lage sein wird, für eine menschenwürdige Altenpflege und für menschenwürdig bezahlte Pflegekräfte zu sorgen. Die Politik weiß das. Deshalb haben sich der Arbeits- und der Gesundheitsminister auch so schnell bereiterklärt, den Anteil der Kassen an der beschriebenen Prämie aus Steuermitteln auszugleichen…
Bitterer Vorgeschmack auf geplante Reformen
Aus der ganzen traurigen Diskussion um die – in Anbetracht der Belastungen höchst läppischen, ja fast beleidigenden – 1500 Euro lassen sich immerhin ein paar Sachen lernen. Zum Beispiel das offensichtlich auch der Politik nicht klar war und ist, wie fragil und interessengesteuert das ganze „System Pflege“ ist. Wie sonst war es möglich, dass die Minister überrascht wurden von dem harten – und noch längst nicht beendeten – Kampf um die Zahlung von 500 Euro?
Zudem gibt uns diese Diskussion schon einen – überaus bitteren – Vorgeschmack auf die eigentlich für dieses Jahr geplante große Reform der Pflegeversicherung und die damit verbundenen Verteilungskämpfe.
Ich vermute, dass es diese Reform vor der Bundestagswahl 2021 nicht mehr geben wird, und wenn, dann allenfalls als Stückwerk zur Beruhigung der Gemüter.
Dass eine grundlegende Reform irgendwann kommen muss, steht dennoch außer Frage. Weil das System in der vorhandenen Form nicht überlebensfähig ist.