Schon beim Lesen der ersten Zeilen des Gutachtens wird deutlich, dass die Autoren mit ihren Plänen vor allem das Problem ständig steigender Eigenanteile von Heimbewohnern lösen wollen. Außerdem geht es um die Beseitigung des „Pflegenotstands“, eine Aufgabe, die nach Ansicht von Rothgang und seinen Kollegen eng mit dem erstgenannten Problem zusammenhängt. Denn die Pflege brauche weitere Investitionen, und wenn diese nicht zu noch höheren Eigenanteilen führen sollen, müsse das ganze System reformiert werden. Geschehen soll das durch sieben „Reformbausteine“, deren Elemente ich im Folgenden kurz beschreiben und kommentieren werde.
Die Bausteine 1 und 2 erheben die altbekannte Forderung, die Krankenversicherung solle auch im Heim die sogenannte Behandlungspflege übernehmen – wie sie es im ambulanten Bereich bereits tut. Dadurch werde die Pflegeversicherung um 2,5 Milliarden Euro pro Jahr entlastet, wodurch der Eigenanteil jedes Heimbewohners um 270 Euro sinken könne.
Willkürliche Abgrenzung von Grund- und Behandlungspflege
Kommentar: Eine Entlastung in dieser Höhe mag möglich sein. Aber dazu müsste die Pflegeversicherung bereit sein, die Einsparung an die Bewohner weiterzugeben. In Anbetracht der Vielzahl ihrer Aufgaben – und der täglich wachsenden Forderungen ist das aber keineswegs sicher. Außerdem steht uns dann mit Sicherheit wieder eine Diskussion darüber ins Haus, was unter Grund- und was unter Behandlungspflege zu verstehen ist. Zumal die aktuelle Abgrenzung zwischen beiden bekanntermaßen willkürlich und medizinisch unsinnig ist. Deshalb gibt es sie in anderen Ländern auch nicht.
Sockel-Spitze-Tausch soll die Kassen füllen
Baustein 3 enthält DIE zentrale finanzielle Forderung des Gutachtens: den Sockel-Spitze-Tausch. Pflegebedürftige sollen künftig nur noch einen festgelegten, niedrigen Sockelbetrag im Heim bezahlen und den größeren, variablen Teil die Pflegeversicherung. Damit würde man die bisherige Zahlungslogik umkehren. Dieser Tausch sei vor allem deshalb notwendig, so das Gutachten, weil es in den nächsten Jahren deutlich mehr Personal und eine bessere Bezahlung in den Heimen geben müsse, Pflegekosten in den nächsten Jahren weiter steigen, schon weil die Personalbesetzung und die Bezahlung in den Heimen besser werden müsse, wenn wir „genügend junge Menschen für den Pflegeberuf begeistern wollen.“ Und das koste eben Geld.
Preisunterschiede bei Heimen werden sichtbarer
Mit diesem Tausch liege das Risiko steigender Pflegekosten nicht mehr beim Einzelnen, sondern bei der „solidarischen Pflegeversicherung und da gehört es auch hin“, so das Gutachten.
Kommentar: Der in den zurückliegenden Monaten von gleich mehreren Seiten in die Diskussion gebrachte Sockel-Spitze-Tausch klingt auf den ersten Blick wie eine gute Idee zum Wohle der Heimbewohner. Und er könnte tatsächlich den positiven Effekt haben, dass die Heime stärker zentral kontrolliert und auf sparsames Haushalten verpflichtet werden können.
Der Preis eines Heimplatzes ist deutschlandweit extrem unterschiedlich. Wenn die Zuzahlung der Bewohner überall gleich ist und die Pflegekasse den Rest drauflegt, werden sich deren Verantwortliche mehr denn je Fragen, wo diese Unterschiede herkommen. Und die Pflegeheimbranche hat darauf keine wirklich schlüssige Antwort.
Deshalb sind viele von ihnen auch gegen den Sockel-Spitze-Tausch, beispielsweise der bpa, Deutschlands größte Interessenvertretung privater Pflegeunternehmen.
Hohe Sozialabgaben sind unsozial
Positiv ist auch, dass der Sockel-Spitze-Tausch die Sozialämter und damit die Kommunen entlastet. Gerade deshalb wird uns die Idee – die auch Jens Spahn ablehnt – eine Dikussion darüber bescheren, wer in Zukunft wieviel bezahlen soll und kann. Und damit eine Gerechtigkeitsdebatte. Denn der Sockel-Spitze-Tausch entlastet auch und vor allem Familien, die die hohen Kosten einer Heimunterbringung aus eigenen Mittel stemmen könnten.
Diese Entlastung dann vor allem durch die im Gutachten vorgeschlagene deutliche Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags auf bis zu 5,6 Prozent zu finanzierung, halte ich für unsozial. Weil es die Falschen belastet:
Eine Familie mit zwei Kindern und nur einem (Gering-)verdiener leidet nicht unter einer zu hohen Steuerbelastung, das verhindern Ehegattensplitting und Steuerprogression. Hohe – und weiter steigende – Sozialabgaben schlagen dagegen voll durch, weil es hier keine Progression gibt. Insofern ist die Pflegeversicherung ein weit weniger solidarisches Konstrukt als von der Initiative behauptet.
Finanzierung braucht ein breites Fundament
Wenn wir die demographischen Veränderungen und ihr Folgen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachten (wollen), dann kann das im Grunde nur bedeuten, die Finanzierung dieser Aufgabe auf ein möglichst breites Fundament zu stellen. Will sagen dazu nicht nur Arbeitseinkommen heranzuziehen, sondern auch andere Einkommensarten, etwa Mieteinnahmen. Die Vorschläge der Initiative Pro Pflegereform leisten das nicht, deshalb haben sie aus meiner Sicht ein Gerechtigkeitsproblem. Und auch der zusätzlich geforderte Steuerzuschuss ändert daran nichts.
Eine „Welt ohne Sektoren“ ist kaum machbar
Im zweiten Teil des Artikels über die Initiative Pro Pflegereform kommen wir auf diesen Zuschuss zurück, außerdem geht es dann um die skizzierte „Welt ohne Sektoren“ – und warum gerade diese Idee bei genauer Betrachtung nicht zu den Plänen der Initiative für die künftige Finanzierung der Pflege passt. Und natürlich liefere ich eine abschließende Bewertung der Ideen der Initiative Pro Pflegereform.